Ole Ohlendorff setzt verstorbenen Musikern ein Denkmal. Auf Leinwand, mit Öl, Acryl, manchmal auch mit Stacheldraht und Erde. Im Gronauer Rock & Pop-Museum ist jetzt eine feine Auswahl seiner „Dead Rock Heads“ zu sehen.
„Die Taktung ist schon gewaltig“, sagt Ole Ohlendorff: „Zu sehen, wie ein Musiker nach dem anderen abberufen wird und eine Etage höher in den Rock-Heaven ziehen muss.“ Zur Zeit hat der Maler viel zu tun. Die Farbe auf dem Lemmy-Porträt war noch nicht trocken, schon trat David Bowie ab. Gerade ist Keith Emerson fertig geworden. Und jetzt sitzt Ohlendorff an einem Prince-Porträt. Gleichzeitig, das betont der Künstler, werde er aber nicht zum Chronisten sämtlicher verstorbener Rock- und Popstars. Es sei immer noch seine Entscheidung, wen er auf Leinwand bannt. Es ist sein persönlicher Geschmack, seine Geschichte, die er mit dem verstorbenen Musiker verbindet.
Obwohl seine „Modelle“ größtenteils aus dem Rockbreich kommen, hat Ohlendorff auch viele Musiker aus anderen Musikstilen mit in seine Liste (Stand Mai 2016: 133 Porträts) aufgenommen: Die Punk-Ikonen Sid Vicious und Dee Dee Ramone, viele Soul-Legenden wie Luther Allison und Ray Charles, Bluesmusiker wie Johnny Winter und John Lee Hooker, die Reggae-Stars Bob Marley und Peter Tosh. Selbst Bach und Beethoven sind dabei. Dass er jemals so eine umfangreiche Gemäldesammlung schaffen würde, damit hatte Ohlendorff wohl nicht gerechnet, als er mit 17 Jahren eine Polizeiausbildung begann.
Wenn die Seele aufschreit
Gut sechs Jahre arbeitet er als Polizist auf dem St. Pauli-Kiez. Der Spagat zwischen Gesetzeshüter und Sex, Drugs & Rock’n’Roll tut ihm nicht gut. Er schmeißt den Job, reist um die Welt, wird Roadie, arbeitet als Kurier, auf der Werft, als Koch. Er lebt den Rock’nRoll und tobt sich in einer Motorrad-Outlaw-Gang aus. Sein Leben ist eine einzige Achterbahn, noch rasanter durch die Einnahme verschiedenster Substanzen. Nebenbei entdeckt er seinen Hang zur Malerei und lernt verschiedene Techniken. Dann gibt es 1990 eine Zäsur: Klinikaufenthalt. Er selbst nennt es: „Meine Seele hat laut aufgeschrien.“ Danach beschließt er, freischaffender Künstler zu sein.
Am Anfang steht John Lennon
Das erste Porträt der Reihe „Dead Rock Heads“ entsteht 1996. Bei einem Besuch in London trifft Ohlendorff immer wieder auf die Spuren der Beatles. Wieder zu Hause in seinem Atelier legt er Beatles-Musik auf. Dann kommt ihm in den Sinn, wie er im Dezember 1980 vom Mord an John Lennon erfahren hat. „Ich war mit einer Freundin beim Abendessen. Und irgendwann zwischen Steak und Rotwein kam dann die Nachricht, einer der Beatles sei erschossen worden. Ich wusste sofort, dass es John Lennon war.“
Es ist der Anfang einer beeindruckenden Galerie. Bei keinem Bild weiß Ohlendorff, wie es am Ende aussehen wird. Er bereitet sich auf seine Porträts vor, recherchiert, studiert Fotos und Videoschnipsel. Wenn alles zusammengetragen ist, geht’s los: Ohlendorff schaltet den Kopf ab und will die Dinge aus dem Bauch heraus „fließen lassen“. Hinzu kommt die Inspiration durch die Musik des Verstorbenen, die im Hintergrund läuft; machmal kristallisiert sich ein einziger Song heraus. Einige können sogar beim Betrachten des Bildes sagen, welcher Song darin steckt. „Ich versuche, mich immer in die Seelenwelt des zu Porträtierenden hineinzuversetzen. Das ist ja letztendlich auch irgendwo die meinige.“ Einige der Toten hat der 58-jährige Ohlendorff zu ihren Lebzeiten getroffen, unter ihnen auch Lemmy Kilmister.
Jedes Bild aus seiner Sammlung hat einen anderen Stil: Foto- und Neorealismus, Popart bis hin zum Surrealen. Bob Marley auf Hanfleinwand, Brian Conolly (Leadsänger der Rockband Sweet) in kleinen Pixeln, Bon Scott (AC/DC) mit bunten Streifen, Ray Charles mit Rauhfasertapete und Drogenbesteck. Ohlendorff kombiniert Ölfarben mit Collagen aus Zeitungsartikeln oder Flyern – oder befestigt Stacheldraht an der Leinwand.
„I swear I don’t have a gun“
Als er 1997 das Porträt von Kurt Cobain fertigstellt, hat Ohlendorff eine besonders krasse Idee. Er, der sich nach seiner Zeit bei der Polizei geschworen hat, die Finger von Schusswaffen zu lassen, nimmt sich eine Schrotflinte und schießt im Abstand von elf Metern eine Ladung Schrot auf das Gemälde. Im ersten Moment sicher makaber. Im zweiten Moment kommt die Erinnerung: Cobain hat in dem Nirvana-Song „Come as you are“ geschworen, dass er kein Gewehr hat. Aber 1993 erschoss er sich im Drogenrausch mit einer Schrotflinte.
David Bowie erweist Ohlendorff auf andere Art die Ehre. Er macht den „Black Star“ (so der Titel des letzten Bowie-Albums) zu einem White Star. Gleichzeitig geht ihm das Video zu dem Lied „Lazarus“ nicht mehr aus dem Kopf. Bowie liegt mit verbundenen Augen im Bett. Anstelle der Augen sieht man schwarze Knöpfe. Auf dem Porträt hat Ohlendorff in Bowies linkes Auge einen Knopf genäht.
To be continued…
Die Ausstellung „Dead Rock Heads“läuft bis zum 17. August im Gronauer Rock & Popmuseum. Sie wandert aber auch und ist – mal größer, mal kleiner – an verschiedenen Orten zu sehen, an denen die Musik spielt: etwa bei der Popkomm oder auf dem Wacken Open Air-Festival.
Der Maler beschäftigt sich nicht ausschließlich mit verstorbenen Musikern. Er schuf auch eine Porträtreihe mit lebenden Legenden wie Bob Dylan, Alice Cooper oder Iggy Pop. In den 1980ern Jahren hatte er bereits seine Zeit mit den Motorrad-Kumpels mit Bleistift zu Papier gebracht. Außerdem malt er auch Abstraktes oder Album-Cover.
Die toten Musiker aber sind sein größtes Projekt. Ole Ohlendorff hat damit eine Erinnerungskultur erschaffen, die generationenübergreifend für Gänsehaut sorgt. Eine „Galerie der Gegenwart, die aus der Vergangenheit kommt und in die Zukunft blickt“, wie es auf der Webseite des Künstlers heißt. Leider ist die Reihe noch lange nicht zu Ende.